Das Wohnhaus in der heutigen Georg-Schwarz-Straße 19 in Leipzig-Lindenau wurde am 13.09.1932 durch die Isaak Rotenberg & Co OHG aus Altenburg erworben. Die Firma hatte drei Anteilseigner*innen Isaak Rotenberg, Paula Liebermann und Bernhard Liebermann.
Christian Repkewitz hat in mehreren Veröffentlichungen das ehemalige jüdische Leben in Altenburg (Thüringen) und zahlreiche Biografien rekonstruiert. Darunter auch die Lebensgeschichten der ehemaligen Hausbesitzer*innen und deren Familien.
Die Texte werden mit dem Einverständnis von Christian Repkewitz veröffentlicht. Weitere Informationen und Bestellung der Bücher unter www.christian-repkewitz.de.
Isaak Rotenberg
geb. 30.05.1902 in Łódź / gest. 21.09.1941 im Ghetto in Łódź
Mit seinen Eltern und seinen beiden Brüdern kam der am 30. Mai 1902 in Łódź geborene Isaak (Icek) Rotenberg nach Altenburg. Am 12. September 1923 begann er eine eigene gewerbliche Tätigkeit und meldete den Handel mit Rohprodukten und Fellen an und übernahm das Ladengeschäft seines Bruders Samuel in der Teichstraße 22. 1925 erwarb er das Haus Teichstraße 10 und zog hier ein. Er eröffnete in seinem neuen Haus am 10. März 1925 den Handel mit Woll- und Weißwaren, Textil- und Schuhwaren. Sein Warenangebot erweiterte er am 28. März 1927 um Möbel, Fahrräder und Kinderwagen sowie am 13. Oktober 1931 um Leder. Das Haus Teichstraße 10 war seinerzeit nicht in gutem Zustand, es bestand bei einigen Gebäudeteilen sogar Einsturzgefahr. Isaak Rotenberg führte 1928 die notwendigen Instandhaltungsarbeiten aus. Neben seinem Ladengeschäft Teichstraße 10 betrieb er unter der Anschrift Teichstraße 22 noch ein Möbellager.
Aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs war die Zeit für die Eintragung der Firma in das Handelsregister gekommen. Gemeinsam mit Paula und Bernhard Liebermann gründete Isaak Rotenberg die „Isaak Rotenberg & Co. OHG“, die am 28. Juni 1929 in das Handelsregister eingetragen wurde. Das Geschäft war dafür bekannt, Abzahlungsgeschäfte zu akzeptieren, was es auch für nicht so vermögende Altenburger leichter machte, eine Anschaffung zu tätigen. Es heißt, dass aufgrund der Abzahlungsgeschäfte stets Außenstände von rund 40.000 Reichsmark vorhanden waren. Dass das Unternehmen dies dennoch wirtschaftlich verkraften konnte, zeigt die ökonomische Stärke der „Isaak Rotenberg & Co. OHG“.
1936 besaß das Unternehmen vier Geschäfte: Moritzstraße 3 (Herren- und Damenkonfektion), Teichstraße 10 (Möbelausstellung), Teichstraße 22 (Möbellager) sowie Kornmarkt 11 (Herrenkonfektion). Zusätzlich hatte die „Isaak Rotenberg & Co. OHG“ zwei Wohnhäuser erworben – die Meißnerstraße 1 in Altenburg und ein Wohn- und Geschäftshaus in Leipzig-Lindenau.
Schon immer hatte es seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten kleinere Probleme mit der Gewerbepolizei gegeben, doch im Jahr 1938 versuchte die Staatsmacht, das Unternehmen ernsthaft zu gefährden: Am 18. Januar 1938 erhielten die drei Gesellschafter eine Verfügung des Amtsgerichts, wonach eine Überprüfung ergeben habe, dass die „Isaak Rotenberg & Co. OHG“ nur noch ein Kleingewerbe darstelle und von daher aus dem Handelsregister zu löschen wäre. Bis zum 10. Februar 1938 sollten die Gesellschafter die Löschung anmelden. Am letztmöglichen Tag erhoben die Gesellschafter einen eingehend begründeten Einspruch. Doch eine Bekräftigung des Löschungserfordernisses durch die Industrie- und Handelskammer in Gera und der daran angelehnte Beschluss des Amtsgerichts Altenburg vom 28. Februar 1938 brachte den Gesellschaftern nicht nur die Beibehaltung der Löschung, sondern zusätzlich ein Ordnungsgeld von 80 Reichsmark ein. Die erneute Entgegnung der Gesellschafter wurde mit Beschluss des Landgerichts Altenburg vom 2. Juni 1938 zurückgewiesen.
Das Gericht begründete die Beibehaltung der Löschung unter anderem damit, dass der erforderliche Jahresumsatz von 25.000 bis 30.000 Reichsmark von 1935 bis 1937 nicht erfüllt wurde. Die Gesellschaft habe auf eigenes Betreiben hin – gemeint ist offensichtlich auch die Einführung des Ratenzahlungsgeschäfts – den Jahresumsatz freiwillig eingeschränkt und damit selbst den Willen bekundet, nur ein Kleingewerbe ausüben zu wollen. Die Gesellschafter wollten sich mit der Gerichtsentscheidung nicht zufrieden geben und mandatierten den Rechtsanwalt Karl Mehnert für die Einlegung der Revision gegen das Urteil. Das Oberlandesgericht München hob tatsächlich den Beschluss des Landgerichts Altenburg auf, verwies aber den Fall zur erneuten Prüfung und Entscheidung zurück nach Altenburg an das hiesige Landgericht. In der Folge wurde Isaak Rotenberg am 18. Oktober 1938 in seinen Geschäftsräumen am Kornmarkt 11 von Bediensteten des Gewerbeamts sowie der Gewerbepolizei aufgesucht und das Tageseinnahmebuch sowie 74 Karten der Kundenkartei beschlagnahmt. Man wollte den Umsatz des Unternehmens bis zum 30. September 1938 prüfen.
Als am 28. Oktober 1938 zahlreiche aus Polen stammende Juden und ihre Familien abgeschoben wurden, war der Geschäftsmann noch nicht betroffen. Isaak Rotenberg, der bei den Nationalsozialisten besonders verhasst war, wurde in der Pogromnacht am frühen Morgen des 10. November 1938 von einem SA-Trupp in seinem Haus Teichstraße 10 heimgesucht, aus dem Bett geprügelt und nur mit Hemd und Hose bekleidet unter fortwährenden Schlägen und Tritten in Richtung Markt getrieben. Isaak Rotenberg wurde zudem stetig bespuckt. Auf dem Markt angekommen, musste er seine Schuhe ausziehen und barfuß den Weg fortsetzen. Blutüberströmt wurde Isaak Rotenberg schließlich in der „Schutzhaft“ in Empfang genommen.
Isaak Rotenberg wurde nicht nach Buchenwald verschleppt, sondern nahm nach der Entlassung aus der „Schutzhaft“ am 12. November 1938 seine Geschäfte wieder auf. Inzwischen hatten aber die Nationalsozialisten beschlossen, Juden aus dem Wirtschaftsleben auszuschließen. Mit der „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“ vom 12. November 1938 wurde die bereits betriebene Arisierung auf den Höhepunkt getrieben und Juden jegliche Geschäftsgrundlage genommen. Die zu der genannten Verordnung ergangene Durchführungsverordnung verbot es den Juden, Einzelhandelsverkaufsstellen, Versandgeschäfte oder Bestellkontore zu betreiben. Sie bestimmte außerdem, dass alle solchen Geschäfte aufzulösen und abzuwickeln sind.
Den jüdischen Geschäftsinhabern wurde der Inhalt der Verordnung sowie der hierzu ergangenen Verfügungen am 1. Dezember 1938 eröffnet. Wie aus einer Besprechungsniederschrift der städtischen Behörden10 hervorgeht, wollte sich Isaak Rotenberg mit der Geschäftsschließung und -abwicklung nicht abfinden, da eine Verfügung des Reichswirtschaftsministers vom 1. Dezember 1938 aussagte, dass Ausländer nicht an der Wiedereröffnung von Geschäften gehindert werden sollen. Er sei Ausländer, somit könne sich die Verordnung nicht auf ihn beziehen. Die „Isaak Rotenberg & Co. OHG“ hielt also ihre Geschäfte offen und verkaufte weiter. Den Behörden war vor allem ein Dorn im Auge, dass die Firma damit das lukrative Weihnachtsgeschäft noch bedienen könnte. Schließlich erhielt Isaak Rotenberg am 7. Dezember 1938 die Mitteilung, dass er sein Geschäft bis zum 31. Dezember 1938 weiterführen könne.
Das geschickte Taktieren Rotenbergs mit der Staatsmacht sollte ihm aber zum Verhängnis werden, denn am 13. Januar 1939 wurde er als „lästiger Ausländer“ nach Polen abgeschoben. Er ging gemeinsam mit Paula und Benjamin Liebermann zurück in seine alte Heimatstadt Łódź. Nach dem Einrücken der deutschen Wehrmacht in Polen und der Bildung des Ghettos Łódź (Litzmannstadt) blieb Isaak Rotenberg das harte Leben im Ghetto nicht erspart. Am 21. September 1940 starb Isaak Rotenberg in einem Ghetto-Krankenhaus an Typhus und Zuckerkrankheit.
Seine Firma bestand zu diesem Zeitpunkt – zumindest auf dem Papier – noch. Der eingesetzte Vermögensabwickler beantragte am 20. Mai 1941 die Löschung der Firma aus dem Handelsregister, die acht Tage später im Amts- und Nachrichtenblatt für Thüringen bekannt gemacht wurde.
Paula Liebermann (und Familie)
geb. 06.06.1883 in Warschau / wahrscheinlich gest. im Ghetto in Łódź am 08.05.1945 für tot erklärt
Die Familie um die am 6. Juni 1883 in Warschau geborene Paula (Perla) Liebermann, geborene Fajner (Feiner), kam am 12. Januar 1920 nach Altenburg. Der Familienvater Szmul Majer Liberman (Samuel Liebermann), der am 13. Dezember 1875 in Piotrków geboren war, kam nicht mit nach Deutschland. Es darf angenommen werden, dass sich das Ehepaar getrennt hatte. Ursprünglich war davon ausgegangen worden – auch aus Schilderungen der Familie, dass Samuel Liebermann vor dem Zuzug nach Deutschland verstorben war. Aber Unterlagern aus Piotrków belegen, dass er zumindest 1933 noch gelebt haben muss. Der Zuzug der Liebermanns nach Altenburg steht wohl im Zusammenhang mit ihren Verwandten, der Familie Rotenberg. Diese lebte seit 1914 hier. Perla Feiner war die Tochter der Schwester Zacharias Rotenbergs: Martha.
Ebenfalls nach Altenburg zogen die drei Kinder des Ehepaars Liebermann: Bernhard Berek (geboren am 27. Oktober 1897 in Sulejow), Moritz Moische (geboren am 16. Mai 1904) sowie Benjamin Benno (geboren am 20. Juni 1916 in Łódź). Es soll eine weitere Schwester namens Simona gegeben haben, zu der sich aber keine Nachweise finden ließen. Wahrscheinlich wohnten die Liebermanns auch zunächst bei den Rotenbergs, denn sie sind selbst erstmals im Adressbuch 1929 zu finden. Es heißt, Familie Liebermann beteiligte sich finanziell an den Geschäften der Rotenbergs. Paula Liebermann beherrschte vier Sprachen fließend in Wort und Schrift (Deutsch, Russisch, Polnisch und Französisch).
1929 stieg Paula Liebermann gemeinsam mit Sohn Bernhard als Mitgesellschafter bei ihrem Cousin in die neu zu gründende Isaak Rotenberg & Co. OHG ein. Isaak Rotenberg hatte erfolgreich sein Geschäft betrieben und musste 1929 sein Unternehmen in das Handelsregister eintragen lassen. Am 29. November 1929 meldete auch Moritz Liebermann ein Gewerbe an, unter der Anschrift Teichstraße 19 handelte er mit Textilwaren.
Den inzwischen an die Macht gekommenen Nationalsozialisten war sowohl das Abzahlungsgeschäft als auch die – zumindest unterstellte – politische Nähe zur KPD ein Dorn im Auge. Auch mit der Gewerbepolizei soll es immer wieder zu Problemen gekommen sein. In der Zwischenzeit setzten die Nationalsozialisten alles daran, die Geschäftstätigkeit der Isaak Rotenberg & Co. OHG zu unterbinden. Die mehrfachen Interventionen Isaak Rotenbergs halfen dabei, bis Ende 1938 das Geschäft weiterführen zu können. Am 31. Januar 1939 wurden Isaak Rotenberg, Paula Liebermann sowie Sohn Benjamin nach Polen abgeschoben. Sie hielten sich fortan in Łódź auf, von wo aus sie vor 19 Jahren nach Altenburg gekommen waren. Moritz Liebermann lebte zu dieser Zeit in Berlin in der Grenadierstraße 2, sonst wäre sicher auch er mit abgeschoben worden.
Paula Liebermann starb höchstwahrscheinlich im Ghetto Łódź, ihre letzte Nachricht stammt aus dem Jahr 1942. Benjamin Liebermann kam 1942 zunächst nach Auschwitz und wurde am 1. September 1944 nach Dachau verschleppt. Dort wurde er am 6. November 1944 ermordet. Moritz Liebermann gelang die Flucht nach Palästina, wo er 1941 eintraf. Er starb am 14. Februar 1970 in Tel Aviv.
Bernhard Liebermann
geb. 27.10.1897 in Sulejów / gest. 15.06.1974 in Tel Aviv
Berek Liberman (Bernhard Liebermann) wurde am 27. Oktober 1897 im damals russischen Sulejow als Sohn von Szmul Majer (Samuel) und dessen erster Ehefrau Dwojra Estera, die am 30. August 1875 in Sulejow geboren wurde und am 26. Mai 1901 in Sulejow starb, geboren. Perla (Paula) Liebermann, die zweite Frau seines Vaters, war ihm aber offenbar eine gute Ersatzmutter. Gemeinsam mit ihr und seinen zwei Stiefbrüdern kam er am 12. Januar 1920 nach Altenburg. Bernhard – wie sich der Kaufmann hier nannte – wurde als Pflegesohn Zacharias Rotenbergs bezeichnet. Neuere Erkenntnisse lassen den Schluss zu, dass sich die Eltern Bernhard Liebermanns getrennt hatten und die Mutter mit ihren Söhnen nach Deutschland zu Zacharias Rotenberg zog. So lernte und arbeitete er zunächst auch im Rotenberg’schen Rohproduktengeschäft. Schon nach dem Besuch der Volksschule in Polen hatte er vom 15. bis zum 17. Lebensjahr eine kaufmännische Lehre in Łódź absolviert, besuchte aber ab 1920 über das Unternehmen seines Pflegevaters – Großonkel Zacharias Rotenberg – eine Handelsschule. Der älteste Sohn der Familie soll 1924 in der Wallstraße 9 und später in der Kesselgasse 7 gewohnt haben. Als Isaak Rotenberg 1925 das Gebäude Teichstraße 10 erwarb, erhielt Familie Liebermann dort eine Wohnung. Bernhard Liebermann wohnte 1928 in der Mauerstraße 1.
Selbst wirtschaftlich tätig wurde Bernhard Liebermann erst im Jahr 1929, als Isaak Rotenberg sein erfolgreiches Unternehmen in eine Offene Handelsgesellschaft umfirmierte und Bernhard sowie seine Mutter als Mitgesellschafter einstiegen.
Am 4. März 1930 heiratete Bernhard Liebermann im ostpreußischen Allenstein Hertha Schlabowski, die am 28. August 1902 in Guttstadt geboren wurde. Die Isaak Rotenberg & Co. OHG erwarb im Mai 1930 das Gebäude Meißnerstraße 1, in das die Familie Bernhard Liebermann einzog. Bernhard Liebermann soll ein großer Möbelliebhaber gewesen sein und seine Wohnung entsprechend geschmackvoll eingerichtet haben. Dabei ließ er wohl auch Möbel selbst anfertigen. Am 23. Dezember 1930 kam das erste Kind des neuvermählten Ehepaars zur Welt – Tochter Else. Tochter Margot folgte am 2. März 1935.
Der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens hielt an. Das am 1. März 1934 neu eingerichtete Geschäft für Herren- und Damenkonfektion in der Moritzstraße 3 (Eckgebäude Topfmarkt) übernahm Bernhard Liebermann, aber auch seine Mutter und sein Großcousin arbeiteten hier. Das Sortiment wurde noch erweitert um Schuhwaren, Berufsbekleidung, Möbel und später sogar Motorräder. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten und die dahingehende ideologische Ausrichtung der städtischen Behörden brachten aber bald schon erste Probleme mit sich. Regelmäßige Kontrollen und fadenscheinige Beschwerden waren an der Tagesordnung.
Zum ersten tätlichen Übergriff kam es im Zuge der Pogromnacht. Bernhard Liebermann wurde schwer misshandelt und am Morgen des 10. November 1938 verhaftet. Am 12. November 1938 wurde er in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt. Als Überlebender konnte Bernhard Liebermann der Nachwelt von den Schikanen und Übergriffen des Wachpersonals berichten. So mussten sich die Häftlinge auf frisch geteerte Steine setzen. Als es Bernhard Liebermann zu unbequem wurde und er sich bewegte, trat die SS-Wache gegen den linken Knöchel. Außerdem waren Schläge regelmäßig an der Tagesordnung. Liebermann wurde am 17. November 1938 wieder aus der Haft entlassen und durfte zu seiner Familie zurückkehren. Bernhard Liebermann hatte im Ergebnis der von den Nationalsozialisten verordneten „Sühneleistung“ der Juden 5.000 Reichsmark zahlen müssen.
Ab dem 31. Januar 1939 war die Familie Bernhard Liebermann allein in Altenburg zurückgeblieben. Mutter Paula und Bruder Benjamin hatte man an diesem Tag als „lästige Ausländer“ nach Polen abgeschoben. Und auch Geschäftspartner Isaak Rotenberg wies man aus. Da die Isaak Rotenberg & Co. OHG nur noch bis Ende 1938 hatte verkaufen dürfen, war der Familie auch die wirtschaftliche Grundlage genommen worden. Irgendwie schaffte es Bernhard Liebermann dann doch, bis zum Mai 1939 das Geschäft weiterführen zu können, also eine entsprechende Ausnahmegenehmigung zu erhalten. Nun galt es, zumindest einen Teil des verbliebenen Vermögens zu sichern.
Vielleicht wartete Bernhard Liebermann einfach zu lang, um auszureisen, vielleicht gab es aber auch noch viele Dinge zu klären. Jedenfalls wurde er am 1. Juni 1939 verhaftet und erneut in „Schutzhaft“ im Landgerichtsgefängnis genommen. Die „Schutzhaft“ in der Einzelzelle dauerte vom 1. Juni 1939 bis zum 19. August 1939 an. Die Haftentlassung war verbunden mit einer Polizeieskorte zum Bahnhof, wo Bernhard Liebermann einen Zug nach Leipzig besteigen musste. Zwar hatte er keinen schriftlichen Ausweisungsbefehl erhalten, regelmäßige Vorsprachen bei der Gestapo sollten aber den Druck auf den Kaufmann erhöhen. Die Polizeidirektion stellte ihm für Ausreisezwecke ein Führungszeugnis aus. Ohne noch einmal nach Hause zurückkehren zu können, musste Bernhard Liebermann von Leipzig aus nach Aachen fliegen, danach ging es weiter nach Paris. Das Reiseziel lautete Bolivien.
Die daheimgebliebene Ehefrau und die zwei Töchter hatten auch Einreisepapiere für Bolivien erhalten. Sie bereiteten sich auf die Ausreise vor, packten ihre Sachen und sandten Container mit Möbeln und Wertsachen an den Hamburger Hafen. Doch weder die Container noch die Frauen sollten Bolivien je erreichen.
Der Kriegsausbruch verhinderte die Ausreise der Familie. Hertha Liebermann, ihre bei der Familie lebende Mutter Emma Schlabowski (geboren am 1. September 1869 in Guttstadt als Emma Rosenstein) und die Töchter Else und Margot zogen nach Berlin zu Verwandten, wollten dort auf die Ausreise warten. Von Berlin aus wurden Hertha und ihre Töchter aber am 17. Oktober 1942 nach Riga deportiert, wo sie im dortigen Konzentrationslager nur fünf Tage später ermordet wurden. Emma Schlabowski wurde am 14. September 1942 nach Theresienstadt deportiert, sie starb am 12. Juni 1945 – nach der Befreiung des Lagers durch die Rote Armee.
Bernhard Liebermann, der in Bolivien seinen Lebensunterhalt zunächst als Reisender, von 1942 bis 1948 mit einem Marktstand für Schmuckgegenstände verdiente, eröffnete 1949 ein Lebensmittelgeschäft, welches er wohl bis 1960 und damit bis kurz vor seiner Emigration nach Israel im Jahr 1962 betrieb. Am 15. Juni 1974 starb Bernhard Liebermann in Tel Aviv.
Quelle: Christian Repkewitz: Verblasste Spuren… II – Lebens- und Leidenswege jüdischer Einwohner des Altenburger Landes von 1869 bis 1945′, 2016, Selbstverlag, ISBN 978-3-00-054453-8